Spiritualität

Entspannung eines viel strapazierten Wortes

Spiritualität ist hip. Spiritualität ist in. Der innovative Manager, der was auf sich hält, geht heutzutage zum Meditationsretreat ins Kloster oder zum Vision Quest in den Wald. Was früher allein der Domäne der Religion angehörte, darf nun alle Bereiche des Lebens durchziehen. Finde ich cool. … Aber was ist Spiritualität denn eigentlich?

GebetsmühlenWenn ich mit Menschen, die ich noch nicht sehr gut kenne, über Spirituelles ins Gespräch komme, befällt mich häufig der Drang, erst einmal ein paar Stunden in die Klärung von Begrifflichkeiten zu investieren, bevor wir uns über dieses Thema – das mit Worten ohnehin auf Kriegsfuß steht – fruchtbar unterhalten können. Denn wo Spiritualität drauf steht, ist noch längst nicht Spiritualität drin. Und wer von sich behauptet, spirituell zu sein, meint damit vielleicht etwas ganz anderes. Das ist so ähnlich wie bei jemandem, der Ihren Respekt einfordert, in Wirklichkeit aber eigentlich nur von Ihnen will, dass Sie gleicher Meinung sind.

»Spiritualität« hat heute einen derart großen Bedeutungshof, dass man in den seltensten Fällen davon ausgehen kann, dass zwei Menschen dasselbe darunter verstehen. Hier also ein paar Gedanken, die die Spannweite vielleicht ein wenig verringern.

Was die Religion war, bevor sie Religion wurde

Was heute als »Spiritualität« daherkommt, ist größtenteils (1) aufgewärmter Fundamentalismus, (2) New-Age-Narzissmus, (3) mythische Regression, (4) subtiler Gewebe-des-Lebens-Reduktionismus und (5) Flachland-Holismus
— Ken Wilber, Einfach »Das«

TurmkreuzSpiritualität (lat. spiritus ›Atem, Geist‹) ist die Suche nach Gott. Eine treffende Definition, die uns allerdings nicht viel weiter bringt, denn sie enthält »Gott«, ein Wort, das noch strapazierter und noch abhängiger von individueller Interpretation ist. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als einziger Protestant in einer bayerischen Hinterwald-Grundschule zur Teilnahme am katholischen Religionsunterricht genötigt wurde. Erst 25 Jahre später und nach zeitweiliger Aufgabe meines Gottesbegriffes war ich in der Lage, das Wort von christlich-religiösem Ballast wieder zu trennen und ihm eine Sinn-vollere Bedeutung zu geben. Weil das vielen Menschen ähnlich geht, wurden andere Worte, die weniger belegt sind, als Ersatz gesucht: Einheit, Leerheit, Nichts, Raum, das Selbst, zeitloses Potential aller Erscheinungen, universelles Bewusstsein u.v.m.

Doch in Wahrheit entzieht sich »Gott« jedweder verbalen Definition (was man wiederum als Definition für »Gott« verwenden könnte…), was es nicht gerade erleichtert, einen Konsens über Spiritualität zu erreichen. Allemal hilfreich ist es, sich zu verdeutlichen, was Spiritualität nicht ist (wenn man an einer der Wortherkunft angelehnten Verwendung interessiert ist):

  • Spiritualität ist nicht mit Religiosität gleichzusetzen. Tatsächlich finde ich, dass beide sich genau genommen gegenseitig sogar ausschließen, da die mit Religiosität verbundene Verhaftung mit einem Glaubenssystem eine – vollkommene Freiheit voraussetzende – Gotteserfahrung verhindern muss. Man könnte sagen, dass Religion missverstandene Spiritualität ist. Oder umgekehrt: Spiritualität ist, was die Religion war, bevor sie zur Religion wurde.
  • Was bei uns gemeinhin als Esoterik bezeichnet wird, sehe ich als moderne, in zahlreiche Sekten zersplitterte Religion an. Spiritualität wird man dort ebenfalls eher selten antreffen.
  • Spiritualität hat keine Ekstasen, Rauschzustände oder übersinnliche Erfahrungen zum Ziel.
  • Spiritualität hat auch nicht die Erfahrung einer geistigen Welt im Sinne eines energetischen Phänomens zum Inhalt. Mit höheren Wesen auf anderen Ebenen kommunizieren zu können, mag ja eine spannende Sache sein, doch Gott bringt das den Praktizierenden nicht notwendigerweise näher.

Um nur die gängigsten Missverständnisse anzusprechen.

Für mich bedeutet Spiritualität, makellos jede meiner Anhaftungen zu erkennen, zu beobachten und loszulassen, um Schritt für Schritt ein freieres Wesen zu sein (→ Das Geheimnis vollkommener Freiheit). Die großen Weisen dieser Welt sagen, dies sei Voraussetzung, um die Gnade der Erkenntnis, des Erwachens empfangen zu können.

© 2011 Björn Klug

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One Comment to “Spiritualität”

  1. Spirtitualität = Die Beschäftigung mit der spirituellen (= geistigen) Existenz („wer bin ich ? Warum bin ich hier ? …“), im Gegensatz zur Beschäftigung mit der materiellen Existenz („mein Besitz“). Ein zentraler Gedanke ist dabei (fast) immer die spirituelle Entwicklung. So zielen die verschiedenen Praktiken im Grunde darauf ab. Als Ziel oder Richtung dieser Entwicklung kann man dann Begriffe setzen, z.B: „Erleuchtung“, „Wissen“, „Erkenntnis“, „Verstehen“, „Freiheit“, „Erlösung“, „Glücklich sein“, „Liebe“. Also eigentlich die erstrebenswerten Seinszustände.
    Ich bin der Meinung, das nicht der Begriff „Spiritualität“ kompliziert oder verworren ist, sondern die PRAKTIKEN.

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