Gut gelobt ist halb kritisiert

Warum Wertschätzung und Lob sich gegenseitig ausschließen

Als Baby werden wir gelobt, wenn wir lernen aufs Töpfchen zu gehen, und getadelt, wenn wir nicht einschlafen wollen. In der Schule werden wir für unsere Leistungen belohnt oder bestraft, je nachdem wie gut wir die Erwartungen des Systems erfüllen. Als Erwachsene formt uns dieses Prinzip bis zum Ende unserer Berufsausbildung und darüber hinaus.

Kritik – Lob und Tadel – bestimmt unser Leben. Einem obersten Lebensdogma gleich beeinflussen der Wunsch nach Anerkennung und die Angst vor Ablehnung die meisten unserer Entscheidungen maßgeblich. Dass es jenseits dieser beiden Pole noch eine Alternative gibt, finden unglücklicherweise nur wenige Menschen irgendwann heraus.

Löwen, die sich kritisierenKritik trennt unsere Vorlieben von unseren Abneigungen und ist bei Dingen und Umständen durchaus nützlich. Erdbeertorte finde ich lecker und miese Kundenbetreuung finde ich doof. Diese Form der Kritik verschafft mir selten Probleme mit anderen Meschen.

Am Menschen angewandt funktioniert sie gewöhnlich jedoch nicht besonders gut. »Brav, dass Du mir die Hemden gebügelt hast, aber wie schlampig du heute wieder aussiehst…« Sträuben sich Ihnen da auch die Nackenhaare?

Zum Wesen der Kritik gehört ihre Bestreitbarkeit, und deshalb führt sie eben gerne zum Streit. Auf einen weiteren Wesenszug weist ihr griechischer Wortstamm hin – unterscheiden, trennen –, und tatsächlich trennt kaum etwas mehr Menschen voneinander als Kritik.

Kritik = Lob + Tadel

Die beiden Pole der Kritik sind Lob und Tadel.

Die Botschaft des Tadels lautet: »Du bist falsch. Ich möchte, dass du dich/dein Verhalten änderst, sonst … [Drohung Ihrer Wahl]«

Das Lob will sagen: »Du bist richtig. Wenn du dich so verhältst, dann bekommst du meine Anerkennung dafür.« Im selben Atemzug teilt es zwischen den Zeilen jedoch auch mit: »Wenn Du nicht so wärst, wärst Du falsch und dann entziehe ich dir meine Anerkennung wieder.«

Nun haben Sie vielleicht einmal in einem Kommunikationsseminar von »konstruktiver Kritik« gehört. Die sei doch in Ordnung, sagen Sie? Dieser Euphemismus löst bei mir spontane Sphinkterkontraktionen aus, als hätte man mir ein Glas Essig zu trinken angeboten. Denn egal, wie nett man sie verpackt, Kritik ist immer manipulativer Natur. Lob und Tadel mögen bei der Hundeerziehung ganz gut funktionieren, doch wer sie auf Menschen anwendet, zahlt einen Preis dafür.

Kritisieren Sie Ihre/n Partner/in, bezahlen Sie mit Distanz. Kritik kann niemals Nähe erzeugen.

Kritisieren Sie Ihre Untergebenen, zahlen Sie dafür mit dem Verlust des Engagements Ihrer Mitarbeiter. Das Beste, was Sie erwarten können, ist eine Horde gut dressierter Affen.

Kritik und Meinung sind übrigens eng verwandt.

Wertschätzung ≠ Lob

Wie Sie sicherlich bereits dem Titel entnommen haben, lautet die Alternative Wertschätzung. Wie das Wort schon sagt, drückt sie aus, dass wir den Wert von Eigenschaften oder Handlungen einer Person aufrichtig schätzen. Vom Lob unterscheidet sie sich durch folgende Merkmale:

  1. Wertschätzung ist nicht an Bedingungen geknüpft. Wie wahre Liebe ist sie bedingungslos. Sie ist frei von Erwartungen an die Reaktion des Empfängers.
  2. Wertschätzung sagt primär etwas über den Geber aus und wertet nicht den Empfänger.
  3. Wertschätzung ist nicht manipulativ. Sie möchte keine Änderungen beim Empfänger herbeiführen (wenn sie auch nicht selten Menschen auf gleichsam wunderbare Weise verändert).
  4. Wertschätzung äußert sich mehr in der zugrunde liegenden Haltung denn in den Worten, durch die sie übermittelt wird.
  5. Wertschätzung verbindet Menschen. Authentische Beziehungen sind ohne eine wertschätzende Grundhaltung undenkbar.

Wer – wie die meisten von uns – ein lebenslanges Training in Kritik hinter sich hat, vermag anfangs vielleicht den Unterschied zwischen Lob und Wertschätzung  nicht auf Anhieb zu erkennen. Ein Beispiel:

»Du bist ein brillanter Redner.«

Wer hört das nicht gerne? Und doch ist es nur Lob, eine bestreitbare Aussage (die gewiss so mancher verlegen leugnen würde). Für den Fall, dass der Geber Wertschätzung ausdrücken wollte, wäre eine andere Wortwahl passender gewesen:

»Ich höre Dir gerne zu, weil ich die Prägnanz deines Vortrags und deine treffende Bildsprache schätze.«

Dies lädt kaum zum Bestreiten ein, was auch wenig sinnvoll wäre.

Wertschätzung = Treibstoff für Kreativität

Löwen in WertschätzungEs scheint seltsam paradox: Wertschätzung möchte nichts erreichen und doch vermag sie Wunder zu wirken.

So ist sie das universelle Elixier, das die Verstrickungen auf Kritik basierender Beziehungen in die Co-Kreativität einer harmonischen Liebesbeziehung verwandelt.

Eine tragische Tatsache: In der durchschnittlichen Paarbeziehung unseres Kulturkreises ist das Verhältnis von Kritik zu Wertschätzung etwa Zehn zu Eins. Wer dieses Verhältnis umzukehren vermag, kommt in den Genuss beständiger Freude in seiner Partnerschaft. (Das garantiere ich persönlich!)

Im Bereich unseres beruflichen Wirkens ist die Wertschätzung der Treibstoff für Kreativität, aufrichtiges Engagement und Erfüllung. Jede Führungskraft, die sich engagierte und kreative Mitarbeiter in einem mit Leichtigkeit florierenden Unternehmen wünscht, ist gut beraten, Wertschätzung zu ihrer Priorität Nr. 1 zu erklären.

Und nicht zu vergessen, öffnet Selbstwertschätzung die Tore zu unserem eigenen kreativen Potenzial und unserer Essenz.

Feedback = »wertschätzende Kritik«

Für die Mehrheit der Menschen ist Wertschätzung wie ein verkümmerter und fast vergessener Muskel, der erst wieder trainiert werden muss, um der einem Riesenbizeps gleichenden Kritik wieder Paroli bieten zu können. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung versichern: Es lohnt sich wirklich, und genau genommen ist es eigentlich gar nicht so schwer.

Sie halten es immer noch für undenkbar, im Umgang mit Menschen ganz ohne Kritik auszukommen? Nun, müssen Sie auch nicht, solange Sie nicht den Menschen kritisieren. Da gibt es nämlich noch das Feedback, das man als »wertschätzende Kritik« bezeichnen könnte. Feedback bewertet Dinge, Umstände und Handlungen bei gleichzeitiger Wertschätzung des Menschen.

Alles eine Frage der Haltung.

Aber das ist Stoff für einen der kommenden Artikel.

© 2012 Björn Klug

9 Responses to “Gut gelobt ist halb kritisiert”

  1. Ich musste bei manchen Saetzen einfach grinsen :D. Dieser Artikel hat mir viel Freude und Spass gebracht, Danke dafuer :).

  2. Danke für deinen Kommentar auf meinem Blog, der mich hierher geführt hat!
    Wertschätzung verstehe ich als Schlüsselwort, war mir so nicht bewusst. Was mache ich mit Menschen, die ich nicht wertschätzen kann, weil ich zb nichts mit ihnen gemeinsam habe – auf freundliche bzw. neutrale Distanz gehen?

    • Zum Beispiel, ja. Ich persönlich suche mir sehr genau aus, mit welchen Menschen ich welche Form von Beziehungen haben möchte – alles andere wäre Lüge, nicht integer und nicht authentisch. Wie sollte ich auch etwas wertschätzen, dessen Wert ich nicht schätze? 🙂

      In deiner Frage scheint mir eines der großen Missverständnisse mitzuschwingen, das bei vielen Menschen aufkommt, die sich auf einen spirituellen Weg machen und nach bewussteren Beziehungsformen streben, wie z. B. in der gewaltfreien Kommunikation. Egal, welcher Lehre wir folgen, bedingungslose Liebe ist das höchste Ziel dem wir folgen. Das scheint ein schier unerreichbares Ziel zu sein, und es sieht so aus, als müssten wir uns all unserer Urteile über unsere Mitmenschen entledigen und all unsere Abneigungen ablegen.

      Die Lösung: Lieben bedeutet nicht mögen! Als ich das begriffen habe, wurde vollkommene Freiheit plötzlich greifbar für mich.

      Bei den Yequana funktioniert das übrigens so: Unerwünschtes Verhalten wird ignoriert. Aber eben auch nicht sanktioniert. Man lässt den anderen tun, was er tut, ohne ihn als liebenswürdiges Wesen abzulehnen und kooperiert schlicht nicht mit seinen – gewalttätigen – Handlungen. Aber man lässt jederzeit „die Tür zur Liebe“ offen. Die Buddhisten nennen das Mitgefühl.

  3. Gerade im Umgang mit Kindern erfahre ich es als extrem schwierig, nicht jede Handlung zu (be-/ent-/ab-) werten. Sehr hilfreich finde ich dabei die Bücher von Alfie Kohn – allen voran „Punished by Rewards“ und „Unconditional parenting“.

    • Danke für die Tipps – schon die Titel hören sich vielversprechend an.

      Kinder halten uns gnadenlos den Spiegel vor Augen und konfrontieren uns zielsicher und zuverlässig mit unseren schlimmsten Dämonen. Dann können wir uns diesen stellen und unsere nächste Lernstufe in unserer eigenen Entwicklung erklimmen, woraufhin sich die Probleme gewöhnlich auflösen. Oder wir geben dem Kind die Schuld und glauben, dass wir es „formen“ müssen, was einem kleinen Ausflug in die Hölle gleichkommt 🙂 denn das Kind wird damit niemals kooperieren.

      • Mit dem „Spiegel vorhalten“ bin ich einverstanden, beim letzten Satz möchte ich jedoch widersprechen. Meiner Erfahrung und meines heutigen Wissenstandes nach wollen Kinder mit ihren Eltern kooperieren, es ihnen recht machen – teilweise bis zur Selbstaufgabe oder darüber hinaus.Eltern sind in den Augen ihrer Kinder unfehlbar und das Kind stellt in den meisten Fällen eher sich selber und seine Gefühle infrage, als seine Mutter oder seinen Vater. Das dreht meist erst in der Pubertät um, aber dann ist das Kind bereits „neben sich“ (siehe die zahlreichen Persönlichkeits“störungen“, die in dem Alter offensichtlich werden).
        Grundsätzlich finde ich aber schon, dass man als Eltern mit seinem Kind wachsen und von ihm lernen kann – sofern man bereit ist, sich darauf einzulassen. Ich merke bei mir, dass es nicht jeden Tag so ist, manchmal mehr und manchmal weniger. Es kommt auch immer darauf an, was sonst noch läuft: Sorgen, Müdigkeit, Stress,… helfen nicht dabei, offen und aufmerksam zu bleiben. Mir passiert es dann oft, in die in meiner Kindheit gelernten Verhaltensmuster zu fallen und es fordert viel Kraft und Willensstärke, die Notbremse zu ziehen.
        Kinder sind zum Glück nicht nur sehr kooperativ, sondern auch sehr verzeihend, wenn ein Erwachsenes kommt und sagt „sorry, das hätte ich nicht tun/sagen dürfen, das war nicht ok von mir“.

  4. Hallo Björn
    Ich habe diesen Artikel gern gelesen. Er hat mich zum Nachdenken gebracht. Insbesondere der Hinweis auf die doppelte Bedeutung von Lob gefällt mir.
    Ich denke, dies war jetzt ein Lob meinerseits und doch finde ich das angemessen. Abgesehen von diesem Artikel kenne ich dich nicht und ich wüsste nicht, worauf Wertschätzung deiner Person basieren sollte.

    Es stimmt, Wertschätzung und Lob haben (wie Feedback und Kritik) eine unterschiedliche Energie. Und auch mir gehen die distanzbehafteten Begriffe leichter über die Lippen. Das ist oft sehr schade, aber (auch in einer Beziehung) doch manchmal durchaus angemessen und gut.
    Mir geht es da ähnlich wie mit der GFK. Es stimmt, dass viel zu selten ein „Wunsch“ anstelle einer „Forderung“ ausgesprochen wird. Aber mir ist es eigentlich wichtiger, die Begriffe und die Haltungen, die dahinter stehen, besser zu verstehen, um sie angemessener anwenden zu können. Es gibt da kein eindeutiges richtig und falsch.
    Und zum Verständnis dieser Haltungen war mir dein Artikel wichtig.

    Viele Grüße
    Ingo

    • Hallo Ingo,
      für mich hört sich das sehr wertschätzend an. Vielen Dank dafür. Übrigens glaube ich nicht, dass man Personen wertschätzen kann, sondern nur ihre Handlungen und Wirkung. In deinem Fall also die Wirkung, die mein Artikel auf dich hatte.

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